Transformation in der Automobilindustrie – Vision und Herausforderung
Armin Gehl, Geschäftsführer autoregion e.V., Saarbrücken
Der autoregion e. V. ist ein eigenständig arbeitendes, komplementär-ergänzendes Organ zu den bestehenden Automotive-Netzwerken der Großregion, die dezentral in ihren Regionen Saarland, Rheinland-Pfalz und Luxemburg arbeiten. Armin Gehl zieht in seinem Beitrag einen roten Faden durch die Entwicklungsgeschichte der Automobilindustrie während der letzten Jahre bis heute, die insgesamt als ein permanenter, vom Wandel geprägter Transformationsprozess angesehen werden kann.
Schaut man bei der Suche nach der Bedeutung eines Begriffs einmal nicht – wie heute üblich – bei Google nach, sondern in der 19. Auflage der BROCKHAUS Enzyklopädie von 1993, findet sich dort unter dem Stichwort „Transformation“ die bildungssprachliche Erläuterung „Umformung, Umgestaltung, Umwandlung“ und die Definition, wonach es sich bei der Transformation um die „grundlegende Umgestaltung“ eines „wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Systems“ handelt.
Und in der Tat, es scheint sich um kein neues Phänomen des Internetzeitalters zu handeln, wenn die in analogen Dimensionen denkenden und schreibenden Lexikonautoren des ausgehenden letzten Jahrtausends eine für die aktuelle Situation der globalen Automobilindustrie durchaus zutreffende Beschreibung und Erläuterung zu liefern in der Lage waren.
Betrachtet man die Entwicklung der internationalen Automobilindustrie über die letzten 50 Jahre, muss man feststellen, dass die einzigen Konstanten in der Entwicklung die Umgestaltung, Umformung oder Umwandlung und die Reaktion auf neue, zuvor nicht gekannte Herausforderungen waren.
Die Ölkrise 1973 mit Fahrverboten, Tempolimit und deutlich gestiegenen Benzinpreisen hatte fatale wirtschaftliche Folgen, die sich in fast allen volkswirtschaftlichen Kennzahlen niedergeschlagen hatte und die Branche weltweit in Turbulenzen brachte. Nutzen konnten dies die japanischen OEM`s, die den weltweiten Automobilmarkt – allen voran den US-Markt- gehörig aufmischten und die Karten neu verteilten.
Aber zugleich wuchs auch das Bewusstsein für die Begrenztheit natürlicher Ressourcen. Nicht mehr der unumschränkte Wachstumsgedanke mit immer größeren und leistungsstärkeren Antriebsaggregaten stand im Vordergrund. Sparen war angesagt und es wurden über technische Innovationen neue Motoren mit deutlich verbesserten wirtschaftlichen Leistungsdaten entwickelt. Im Windkanal geformte Karoserien schufen nicht nur ein neues, kreatives automobiles Design, sondern trugen auch bei zu geringerem Treibstoffverbrauch.
Eine gewaltige Herausforderung war die Mitte der 1980er Jahre die mit Vehemenz einsetzende Globalisierung der Märkte. Zwar war die deutsche Automobilindustrie schon zuvor vornehmlich mit ihren Exporten weltweit unterwegs. Auch hatte man mit der lokalen Industrialisierung bei zunehmendem local content vornehmlich von Nutzfahrzeugen in Südamerika, Asien und Afrika erste Erfahrungen mit dem Aufbau internationaler Lieferketten gesammelt. Aber die globale Öffnung der Märkte und die parallele Entwicklung eines weltumspannenden Logistiksystems schufen eine ganz neue Dimension internationaler Arbeitsteilung.
Dass dies noch zu übertreffen war, lehrte uns schließlich in den letzten 15 bis 20 Jahren die Entwicklung Chinas zum weltweit größten Automobilmarkt – noch vor den USA und Europa, woran die deutsche Automobilindustrie einen nicht geringen Anteil hatte und in erheblichen Maß davon auch profitierten konnte.
Auf all diese Herausforderungen konnte die Automobilindustrie mit ihrer Innovationsfähigkeit entsprechend reagieren und neue Produkte, Systeme und Verfahren entwickeln, die den geänderten Rahmenbedingungen Rechnung getragen haben. Auch wenn in dieser Entwicklung in jeder Krise dem Automobil sein Ende prophezeit wurde, war das Ergebnis der Krisenbewältigung jedes Mal vom Erfolg gekrönt.
Dass dies gelingen konnte, war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Mobilität zu einem der Grundbedürfnisse des Menschen gehört. Sie zu ermöglichen, zu fördern und weiterzuentwickeln ist Grundlage wirtschaftlichen Erfolgs und kultureller Inspiration, weil nicht nur Menschen und Güter zu einem ökonomischen Optimum zusammen geführt werden. Darüber hinaus schafft Mobilität zwischenmenschliche Begegnung, Austausch und gegenseitiges Verständnis.
Und genau darin liegen auch Grund und Ansatz zur Bewältigung der neuen Herausforderungen, denen sich die Automobilindustrie gegenüber sieht. Und genau deshalb muss und wird der aktuelle Transformationsprozess gelingen.
Verglichen mit bisherigen Herausforderungen scheinen die vor uns liegenden Aufgaben in der Tat gigantisch.
Megathemen wie E-Mobilität, Digitalisierung, Automatisierung und Robotik, der Einsatz künstlicher Intelligenz im Fahrzeug, in Produktions- und Entwicklungsverfahren sowie in der Verkehrsinfrastruktur und nicht zuletzt der Klimaschutz als alles überragendes Ziel bilden den Kern der Herausforderung.
Neu ist -verglichen mit historischen Herausforderungen- die zeitliche Dimension. Deutschland hat sich mit seinem Klimaschutzgesetz verpflichtet, seinen Treibhausgas-Ausstoß bis zum Ende des Jahrzehnts um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu verringern. Europa soll bis 2050 klimaneutral sein. Im Verkehrsbereich soll der Treibhaus-Ausstoß von 146 Millionen Tonnen CO2 in 2020 auf höchstens 85 Millionen Tonnen CO2 in 2030 reduziert werden.
Allein diese zeitliche Vorgabe schließt ein konsekutives Vorgehen aus und fordert einen umfassenden, vernetzten Strategieprozess, der alle am automobilen Wertschöpfungsprozess Beteiligten mit erfasst.
Diese Transformation beeinflusst jedes einzelne Element des traditionellen Wertschöpfungsprozesses sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Hinsicht und führt notwendigerweise zu einschneidenden Veränderungen, die zunächst auch mit negativen Folgen verbunden sind. An deutlichsten wird dies bei der Umstellung auf E-Mobilität, die erhebliche Auswirkungen auf Umfang und Struktur der Beschäftigung hat. Andererseits eröffnen sich aber neue Chancen – insbesondere in der Batterieentwicklung, -produktion und –entsorgung, die in diesem Umfang bisher nur rudimentär oder gar nicht bestanden. Gerade die Entsorgung von nicht mehr verwendbaren Batterien muss in eine industrielle Kreislaufwirtschaft eingebettet sein, die sich nahtlos in den automobilen Wertschöpfungsprozess einfügt.
Ähnlich verhält es sich mit der Entwicklung neuer Antriebsarten und der Verwendung alternativer Energieträger wie grünem Wasserstoff und synthetischer Kraftstoffe. Synthetische Kraftstoffe sind ein zwingend erforderliches Element zur Lösung des Problems der weltweit nach wie vor vorhandenen Fahrzeuge mit klassischem Verbrennungsmotor. Sie sind klimaneutral nur durch Verwendung dieser Treibstoffart weiterhin zu betreiben. Die Verwendung von grünem Wasserstoff drängt sich insbesondere beim Schwer-LKW im Fernverkehr auf, der mit E-Antrieb wirtschaftlich derzeit nicht darstellbar ist.
Diese hier nur beispielhaft für andere aufgeführten technologischen Herausforderungen sind aber nur lösbar durch ein eng vernetztes System des Technologietransfers an dem nicht nur Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Verbände und Kammern, sondern auch Politik und Gewerkschaften zu beteiligen sind.
Insbesondere den Gewerkschaften kommt in diesem Prozess eine besondere Bedeutung zu. Der entscheidende Erfolgsfaktor bei der Bewältigung von Krisen und der Entwicklung neuer Produkte und Verfahren war und ist die Qualifikation und Flexibilität der Beschäftigten. Und dies gilt in besonderem Maß heute. Traditionelle Berufs- und Qualifikationsmuster verändern sich fundamental. Mit dem tradierten Erfahrungswissen von gestern sind die Probleme von heute nicht zu lösen. Dies gilt aber auch für eingeübte Verhandlungsmuster in den Gesprächen zwischen den Tarifpartnern. Das Beharren auf Besitzständen und die Verhinderung eines notwendigen Zwangs zur qualitativen Anpassung sind kein Beitrag, der dabei hilft, unsere Industrie wieder auf den internationalen Spitzenplatz zu führen, den sie über Jahrzehnte gehalten hat.
Die eingeübte Tarifpartnerschaft der letzten Jahre sollte jedoch zuversichtlich stimmen, dass dies auch bei der Umsetzung der notwendigen Transfermaßnahmen wieder gelingen wird.